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Auf dem Werder

Deutsche Grundkarte, Stadtarchiv Petershagen

Östlich der Koppeln, zwischen dem alten Verlauf der Aue und dem Mühlengraben erhob sich eine kleine Anhöhe. Auf Grund seiner erhöhten Lage wurde sie im Volksmund auch Werder genannt. Diese Anhöhe lag nur ca. 2,5 m über dem üblichen Weserniveau. Dennoch erbaute der Arzt Johann Philipp Engering aus Döhren nach dem Dreißigjährigen Krieg hier seine neue landwirtschaftliche Hofstätte. Diese hochwassergefährdete Lage sollte seinen Nachkommen später auch zum Verhängnis werden. Im Jahr 1682 ertrank sein Sohn zusammen mit dem Knecht in der Marsch beim Weserhochwasser.

Seine Enkeltochter heiratete später Johan Conrad Hecker, der den Hof bis zu seinem Tod führte. Sein Sohn Johann Philipp Hecker hingegen war ein sonderbarer Zeitgenosse, um den sich zahlreiche Sagen rankten. Er ließ den Hof immer weiter verfallen. Nach seinem Tod baute seine Tochter das Anwesen gemeinsam ihrem Mann, Jürgen Heinrich Engelking, wieder auf. Aber die Blütezeit sollte nicht lange andauern. Im Jahr 1840 schließlich musste die Witwe den Hof an den Auktionator Stammelbach von der Rothen Mühle verkaufen. Als Land- und Immobilienmakler begann er gleich damit die ca. 194 Morgen Land zu zerstückeln und in Einzelteilen zu verkaufen. Die Gebäude auf dem Werder verfielen und die letzten Überreste verschwanden unter der Aufschüttung der Auewiesen im Jahr 1936 gänzlich *1.

Der letzte Hecker, Johann Philipp, wurde in Lahde schon zu Lebzeiten als Sonderling angesehen, dem man üblicherweise aus dem Weg ging. So entstand an den langen Winterabenden am wärmenden Feuer so manche Sage, die den Zuhörer erschaudern ließ:

Johann Philipp, der „Alte Hecker“ wurde oft als Hexenmeister bezeichnet. Er konnte sich in einen Hund verwandeln. Die Knechte und Mägde waren nie vor ihm sicher. Wenn sie sich auf dem Feld allein glaubten und sich einen Augenblick lang von ihrer harten Arbeit ausruhen wollten, lief der Hecker plötzlich als Hund durch die Furchen, damit sie entsetzt wieder zu ihrer verlassenen Arbeit eilten. Abends, wenn die Knechte die Pferde fütterten, legte er sich in seiner Hundegestalt auf die Dungstätte, damit von ihnen kein Futter mit nach Hause genommen wurde.

Auch wurde behauptet, dass Hecker an 3 Stellen gleichzeitig sein konnte. Er konnte dann aber nur an einem Ort sprechen. Von anderer Seite wird berichtet, dass er nur an 3 Stellen zugleich sein konnte, wenn man in eine Glasscherbe sah, die in einem Kasten befestigt war. Als eine Magd einmal in eine Glasscheibe sah, um ihre Haare zu ordnen, stand er plötzlich hinter ihr. Man wusste bestimmt, dass er zu der Zeit nicht auf dem Hofe sein konnte. Auch in einen Böxsenwulf hat sich der geizige Bauer verwandeln können. Als einmal seine Frau im roten Kleid durch das Dorf ritt, wurde sie von einem Wolf vom Pferd gerissen. Als Hecker am anderen Morgen noch rote Stoffreste zwischen den Zähnen hatte, wusste man, dass er der Wolf gewesen war. Dem Hecker war nichts heilig. Das beweist die Tatsache, dass er um einen Wassergraben 25 falsche Eide schwor. Um Hecker abzuschrecken hatte man ihm einen Totenschädel vor die Füße gelegt. Doch er blieb bei seiner Aussage.

Über seinen Tod laufen die verschiedensten Geschichten umher. Nach der einen Aussage ist er bei Hochwasser, das seinen Hof vernichtet haben soll, mit umgekommen. Als die Leiche gefunden wurde, hat man sie neben der Kirche in einem ausgemauerten Grab beigesetzt. Andererseits wird erzählt, dass er in einer Nacht in seinem Kontor gestorben sei. In dieser Nacht hatte es in diesem Zimmer so heftig gepoltert, dass seine Frau um Hilfe gerufen habe. Sie habe noch die Stimme ihres Mannes gehört, der gestöhnt habe: „Frau, die Nacht des Tages Grauen“. Am anderen Morgen sei er tot auf dem Fußboden gelegen. An der Ostseite der alten Kirche wurde er beerdigt. Als erster bekam er ein ausgemauertes Grab. Niemand wagte im Dunkeln an seinem Grab vorüberzugehen. Man hatte Angst, dass er den vorbeigehenden Kirchgänger an den Beinen packt.“

Damit nicht genug. Über seinen Tod ist noch eine weitere Sage bekannt:

Schwer krank lag er schon darnieder. Als er immer noch auf allen Vieren in die Stube kroch, um nachzusehen, dass die Knechte und Mägde auch nicht zu viel aßen. „Was gibt es zu essen?“ Fragte er. Und dann sagte er „Pech und Schwefel brennen schon“, kroch auf sein Lager zurück und starb.

Hecker konnte keine Ruhe in seinem Grab finden. 3 Jahre irrte er noch als Hund umher. Weil sein Hof in dem Bruch (Anhöhe) stand und oft überschwemmt war, besaß Hecker auf dem Gelände des jetzigen Vogelbrinks 2 Scheunen, in denen er sein Winterfutter aufbewahrte. Der Hofmeister musste dort jeden Morgen Hechsel schneiden. 3 Jahre lang beobachtete er dort einen wolfsähnlichen Hund. Der lag 2 ½ Jahre vor der ersten und ½ Jahr vor der zweiten Scheune. Jeden Abend kam der Hund, um am anderen Morgen spurlos zu verschwinden. Einige beherzte Bauern gingen hinter ihm her, jedes Mal sahen sie ihn in dem Gebüsch verschwinden, wo einst der Heckerhof gestanden hatte. Am Abend kroch er wieder heraus und lief zu den Scheunen. Der Hund fraß nichts anderes als die Asche verbrannter Häuser. Als der Hofmeister den Hund einmal fragte: „Hund, stammst du vom Guten oder vom Bösen ab?“ habe der Hund mit den Zähnen gefletscht und ihm sei gewesen, als habe ihn jemand an der Haaren hochgezogen. Wenn er später zum Futterschneiden kam, habe ihm der Hund immer bereitwillig Platz gemacht.

Eine Sage hat auch Wilhelm Busch in seinem Buch „Sagen und Lieder ut oler Welt“ beigefügt, jedoch vermied er hierbei jeden Namensbezug:

Jede Nacht nach seinem Tod kam er, leuchtete mit einer Lampe an der Brandmauer herum und ging dann still wieder weg. Da nun die Leute im Hause gar nicht wussten, was der Hecker wollte, baten sie den Pastor, in der Stube zu wachen und ihn zur Rede zu stellen. So geschah es. Der Pastor wachte allein. Als die Uhr zwölf schlug, kam der Geist und leuchtete wieder an der Mauer. Nachdem sich der Pastor von seinem Schrecken erholt hatte, redete er ihn an: „Alle guten Geister loben den Herrn“. „Ich auch“, sprach der Geist, „aber ich finde keine Ruhe, weil ich in der Mauer bei Lebzeiten mein Geld verborgen habe. Gebt drei Teile davon meinen Kindern und einen Teil den Armen, dann brauche ich nicht mehr an diese Stelle zu wandern.“ Der Pastor versprach es. „So gib mir deine Hand darauf“ sagte der Geist. Der Pastor reichte ihm seinen Stock, der ganz schwarz wurde, als der Tote ihn berührte. Dann ging Hecker lautlos davon. Am anderen Morgen erzählte der Pastor, was ihm begegnet war. Man brach die Mauer auf, fand das Geld und erfüllte den Wunsch des toten Heckerhofbauern, der sich von da an nie wieder sehen ließ.

Bei all den schaurigen und unrühmlichen Sagen sollten wir den Alten Hecker auch einmal selbst zu Wort kommen lassen. Vielleich war er gar nicht so sonderbar wie damals an den langen Winterabenden erzählt wurde. Friedel Otto hat ihn in ihrem Gedicht persönlich getroffen und sie kann folgendes berichten *2:

o’n poor Weeken sind vergoahn, 
ik sitte moal wi’er up dei Bank in Grunne,
et werd bolle Oabend, obert Fehld schinnt dei
Noahmiddoages-Sünne
Ik denk noah oaber vandoage un dei Tien 
vor mehr als 200 Johren,
dor is et mie mit einenmoal wi’er dür’t Gebeine foahren.

Un ehe ik mie so richtig ümmekeeken,
dor kummt van wiehen dei oole Hecker dorher e schleeken.
Man kann seggen, wat man will,
et schüddet eine doch son beeten,
denn ganz oahne Angest bin ik nich, dat möt Gie weeten.

Ik denke, hei lachet un is ganz froh,
un ik bin neidschierig un gespannt, lache deshalb äbenso.

So ein paar Wochen sind vergangen, 
ich sitze mal wieder auf der Bank im Garten,
es wird bald Abend, über dem Feld scheint die
Nachmittags-Sonne
Ich denke nach über heute und die Zeit
vor mehr als 200 Jahren,
da ist es mir mit einem Mal durch die Glieder gefahren.

Und ehe ich mich so richtig umgucke,
da kommt von weiten der alte Hecker daher geschlichen.
Man kann sagen, was man will,
es schüttelt einen doch ein wenig,
denn ganz ohne Angst bin ich nicht, das müsst ihr wissen.

Ich denke, er lacht und ist ganz froh,
und ich bin neugierig und gespannt, lache deshalb ebenso.

 „Da bin ich wieder, einen guten Abend, uns zusammen.
Noch fangen meine Schafe nicht an zu lammen,
so habe ich für eine Viertelstunde Zeit,
denn Ostern, das Fest der Lämmer ist nicht mehr weit.

Inzwischen habe ich mich kundig gemacht
und allerhand Wissenswertes zusammengebracht.
Sie sind also die Ur-Ur-Enkelin von dem
bei meinem Schwiegersohn Engelking
tätigen Großknecht Cord Glissmann,
übrigens ein immer zuverlässiger Mann
der allezeit mehr als seine Pflicht getan.
Er wohnte, wie Sie sicherlich wissen,
auf dem Vogelbrink in unserem Heuerlingshaus,
dorten lagerten wir Stroh und Getreide aus.“

„Mit meinem Herrgott stand ich nicht
immer auf Du und Du.
Ich glaube, ich hatte auch einen Grund dazu.
Er gab mir ein so schönes Anwesen zum Lehen,
ich dachte, dass er auch Anteil nähme an allem Geschehen;
aber nun überschüttete er mich mit so viel Missgeschick,
mit anfänglich gut aussehenden Ernten hatte ich kein Glück.
Diese vielen Überschwemmungen machten
oft alle Arbeit zunichte,
manches Mal stand ich vor der Wand mit dem Gesichte.
Statt Hilfe schickte er mir in schlafloser Nacht
seinen Erzfeind Luzifer,
der mich fast um den Verstand gebracht.
Die Lahder sagen seither,
ich stände mit dem Teufel im Bunde,
geizig sollte ich dazu noch gewesen sein,
so ging es von Mund zu Munde.

Dabei war es nur der tägliche Kampf ums Überleben,
der mich so gemacht.
Oft stand ich allein, und dann kam über Nacht
dieses schlimme Hochwasser,
dass mich dann auch ums Leben gebracht.

Nun habe ich aber genug erzählt,
Sie hätten sich besser einen anderen Partner
auf der Bank ausgewählt.
Tschüss denn, bis später, ich gehe von hinnen,
das weitere müssen Sie machen, nämlich das „Spinnen!“
Übrigens ein Grabgewölbe hatte ich mir
an der alten Kirche schon ausmauern lassen,
aber nicht, um vorbeigehende Lahder
an den Beinen zu fassen.

Das sind Gruselgeschichten, ich war sicherlich
ein nicht alltäglicher Mann,
der sich manches herausgenommen hat bzw. herausnahm,
was dem „kleinen Mann“ im Ort und
auf den Straßen missfallen hat über alle Maßen.
Die Nachwelt vergisst das Mittelmäßige,
aber die „Geschichte“ bewahrt das Außergewöhnliche.
Wo die Geschichten vom alten Hecker einzuordnen sind
das überlasse ich denn den Lahdern, mein liebes Kind.“

*1  Heinrich Rodenbeck: Mein Heimatdorf Lahde
*2 Friedel Otto: Rund ümme dän Löher Kerkturm bet noah Amerikoa






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