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Aus der Zeit der Schäferei in Lahde

 


Wenn wir heutzutage an die Schäferei denken, weckt es in uns oftmals ein idyllisches und harmonisches Bild:

Eine Schafherde, die friedlich blökend im satten Grün weidet,
von ihrem Schäfer mit seinem „Schäferhund“ liebevoll behütet,
durch die freie Natur geführt wird.

Dieses Bild begleitet uns Menschen schon seit mehr als 2.000 Jahren. Das ist allerdings wenig verwunderlich, denn schließlich steht das Schaf schon in der Bibel als Symbol für Schutzbedürftigkeit sowie die Zuwendung zu Gott. In der Bibel wird an insgesamt 196 Stellen das Schaf, bzw. das Lamm als Vergleich herangezogen. So finden wir das Schaf nicht nur in der Krippendarstellung, auch das Gleichnis vom verlorenen Schaf und der Psalm 23 berichten von seiner sinnbildlichen Bedeutung.

Aber war das in Lahde damals auch so?
Vermutlich trifft das nur zum Teil zu. Über viele Jahrhunderte hinweg hat die Schafzucht auch in unserer Heimat das Leben geprägt. Die Schafwolle wurde bei uns im 17. Jahrhundert zu einem wichtigen Rohstoff und somit zu einem erfolgreichen Landwirtschaftszweig. Schließlich wollten die Menschen schon damals nicht nur in den recht steifen und kratzigen Kleidungsstücken umherlaufen, die aufwendig aus dem Flachsanbau gewonnen wurden. Noch heute finden wir auch in Lahde Spuren aus dieser Zeit. Beispielsweise erzählen die Flurnamen vom Schafstallkamp, der am Beginn der heutigen Bahnhofstraße lag. Auch einige alte Hofnamen erzählen aus dieser Zeit. Die Hofstätte „Schoapmester“ (Schafmeister) ist hier nur ein Beispiel.

Über die Größe der damaligen Schafzucht berichtete Wilhelm Brepohl im Jubiläumsbuch zur 800 Jahr Feier folgendes: Das alte Amt Petershagen stand um 1790 mit über 8.000 Schafen an der Spitze aller Ämter von Minden-Ravensberg, das eine Gesamtzahl von 43.000 Schafe umfasste. Allerding gab es damals noch besondere Voraussetzungen, die eine umfangreiche Schafzucht erst ermöglichte, das „freie Huderecht“, das es in der heutigen Zeit nicht mehr gibt.

Gleichzeitig muss erwähnt werden, dass die Schafzucht auch ein besonderes Privileg war, das nur wenigen Großgrundbesitzern zustand. Dieses war zunächst der Bischof, dessen Herde fast überall weiden konnte. Als Rechtsnachfolger übernahm später das Erbpachtamt der Stadt Petershagen dieses Recht.

Auch den Burgmännern aus Petershagen wurde damals vom Bischof das Recht zur Schafhude verliehen. Die Burgmänner waren seinerzeit für die Verteidigung des Schlosses verantwortlich. Für ihren Dienst erhielten sie besondere Privilegien, die sogenannten „Burgmannsrechte“. Für gewöhnlich lebten die Burgmänner auch im Schloss, damit sie im Ernstfall rechtzeitig vor Ort waren. Da aber im Schloss Petershagen der Bischofssitz und die Verwaltung untergebracht waren, reichten die Räumlichkeiten nicht aus. So lebten die Petershäger Burgmänner auf den sogenannten „Burgmannshöfen“. Die bekanntesten Höfe waren der „Besselsche Hof“, der „Gadensche Hof“ und der „Hempelsche Hof“.

Hinzu kamen noch vier Höfe auf der rechten Weserseite. Dieses waren der Heckerhof der sein Recht aus dem einstigen Klosterhof, bzw. dem Lahder Kloster übernommen hatte, sowie die 3 Meyerhöfe Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3.

Bei so vielen Schafen stellt sich natürlich die Frage, wie es unsere Vorfahren hinbekamen, ihre Schäflein beisammenzuhalten und dabei nicht den Überblick zu verlieren. Als oberstes Gebot galt, dass die Amtsherde von Petershagen immer Vorrang hatte. Wenn sich die Amtsherde näherte, mussten alle anderen Herden ausweichen.

Das Huderecht umfasste nicht nur die eigenen Ländereien der jeweiligen Besitzer, sondern auch die freien, unkultivierten Flächen, den sogenannten „Allgemeinheiten“. Dieses Privileg entfiel Mitte des 19. Jahrhunderts als die letzten Gemeinschaftsflächen verteilt wurden, was zum Untergang der großflächigen Schafzucht führte.

Das Hudegebiet in unserer Heimat umfasste ca. 2.738 Morgen und befand sich in den Feldmarken von Lahde, Petershagen, Jössen, Gorspen-Vahlsen, Bierde, Frille und Quetzen. Es bestand in der Hauptsache aus Ackerland, Feldgärten, einigen Wiesen in Wesernähe und den unkultivierten Flächen, den sogenannten Allgemeinheiten, auch „Unland“ genannt. Für die Beweidung der landwirtschaftlich genutzten Flächen galt eine fest vorgeschriebene Hudezeit, zwischen dem 24. August und dem 25. März. Nachdem die Besitzer ihre Ernte eingebracht hatten, standen die Flächen zunächst den Schweineherden der jeweiligen Ortschaften für 14 Tage als Hudefläche zu. Danach durften nur noch die Schafherden dort geweidet werden. Das war den Besitzern auch ganz recht, denn die Schafe hielten so die Ackerflächen vom Unkraut frei und ihre Hinterlassenschaften sorgten für eine gute Düngung im Folgejahr.

Wie zu vermuten war, kam die Schafzucht in Lahde auch nicht ohne Streitereien aus. In den Jahren 1727 und 1783 kam es zu zwei größeren Hudeprozessen, in denen auch die Meyerhöfe verwickelt waren. Glücklicherweise blieben die Prozessakten auf dem Meyerhof Nr. 2 erhalten. Sie berichten ausführlich von den damaligen Vernehmungen und ermöglichen ganz nebenbei, einen Blick bis weit in der Vergangenheit von Lahde. Dr. Großmann hat diese Akten seinerzeit ausgewertet und in der Hofchronik des Nahrwoldschen Hofes umfangreich beschrieben. Aufgrund ihrer Informationsfülle lassen sich seine Ausführungen hier nur in Auszügen wiedergegeben:

„Man kann es wohl schon als Seltenheit ansehen, wenn in einem kleinen Dorf, wie es Lahde früher war, gleich vier Höfe das Recht hatten, eine eigene Schafherde zu halten. Vor allem wenn ihnen dafür ein Huderecht zur Verfügung stand, in dem sie selbst keinen Grundbesitz hatten. Es waren die drei Meyerhöfe und der Heckerhof, die sich eine Schafherde hielten und diese nicht nur auf den etwa 1.000 Morgen der Lahder Flurfeld, sondern auch auf der Geist weiden lassen konnten, die über 250 Morgen zählte und eigentlich altes Petershäger Land gewesen war. (…)

Es ist nicht immer leicht festzustellen, wann solche Gerechtsame (Berechtigung) entstanden sind. Meist wussten es die späteren Besitzer selbst nicht mehr und gaben etwas an, was in Wirklichkeit nicht den Tatsachen entspricht, wie sich bei genauerer Durchforschung der Akten heute feststellen lässt.

Das zeigte sich auch bei den Meyerhöfen, die in zwei Prozessen ihre Hudeberechtigung nachweisen sollten. Das Ergebnis ist in beiden Fällen günstig für sie ausgefallen. Die Bauern im Loh, Daseler, Vahlsing und Wegener, hatten 1726 das Huderecht der Meyer angefochten, durch das sie die Unterhaltung ihres Großviehs geschädigt sahen.

Der Amtmann Thüre zu Petershagen, der die Untersuchung durchführte, versuchte vor allem festzustellen, seit wann die Höfe eigentlich die Schäferei und damit die Hude im Loh (Teil der Geest) begonnen hätten. Zu diesem Zweck wurden folgende alte Schäfer vernommen.

    1. Hans Glißmann aus Wietersheim, 73 Jahre
    2. Jobst Dörmann aus Frille, etwa 50 Jahre
    3. Hermann Barlach aus Ilvese, über 50 Jahre

(So genau wussten die Leute damals ihr Alter nicht.)

Aus ihren Aussagen ergibt sich, dass sie z.T. jahrelang im Dienste der Lahder Meyer gestanden hatten und daher sehr genau über deren Schäferei berichten konnten.

Glißmann als Ältester, der damals Dorfschäfer von Wietersheim war, ist über die ersten Jahrzehnten am besten unterrichtet. Er erzählt, dass er schon vor 1678 als Schäfer von Tieleker auf dem Loh gehütet habe. Später sei er Amtsschäfer gewesen. In der ersten Zeit sei der Vater von Gerd Heinrich Nahrwold, der später auf den Meyerhof Nr. 2 heiratete, Schafmeister gewesen. Als solchem unterstand ihm die Schafherde des Amtes Petershagen, die über 1.000 Tiere umfasste und in 2 Herden aufgeteilt war, dem „Hammelhaufen“ und dem „Säugehaufen“. Für jede Herde war ein besonderer Schäfer bestellt, der aber oft auch die Herde pachtete. So soll auch nach den Angaben von Gerd Heinrich Nahrwold, die dieser selbst als Zeuge machte, sein Vater Johann die Amts- oder Herrenschafe gepachtet habe.“ Johann Hinrich Nahrwold wohnte seinerzeit auf dem Timpenhof in Quetzen-Maßloh und ist laut Kirchenbuch Lahde im Jahre 1702 verstorben.

Entgegen der Aussage von Dr. Großmann ist heute die Herkunft von Johann Nahrwold bekannt. Die Spur führt uns wieder nach Lahde. Auf der Hofstätte Lahde 17 (Vor der Reihe 14), mit dem Hofnamen „Scheeps“ (Schafe), lebte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert eine Familie Nahrwold. Der Hofname weist schon auf die Nähe zur Schafzucht hin. Der Vater, Johann Nahrwold ist der erste nachweisliche Vertreter dieses Familiennamens. Es ist anzunehmen, dass er in den Wirren des 30-jährigen Krieges (1618-1648) nach Lahde kam und sich hier niederließ. Vermutlich war auch Johann damals als Schäfer tätig. Leider sind die Kirchenbuchdaten aus der Zeit sehr lückenhaft. Johann hatte vermutlich 5 Söhne, wobei der älteste Sohn, Arend Nahrwold, um 1655 auf die gegenüber liegende Stätte, Lahde 16 (Vor der Reihe 5) heiratete. Diese Stätte trägt noch heute den Beinamen Schoapmester (Schafmeister). Ob Arend seinerzeit tatsächlich Schafmeister war, lässt sich bislang nicht nachweisen.

Der jüngste Sohn, Johann Hinrich Nahrwold kaufte 1654 den Timpenhof in Quetzen Maßloh und wurde Schafmeister des Amtes Petershagen. Sein jüngster Sohn, Gerd Hinrich Nahrwold, heiratete im Jahre 1690 auf dem Meyerhof Nr. 2, der damit den Beinamen „Nahrwold Nr. 2“ bekam.

„Glißmann erzählt nun, wie er unter dem Schafmeister Nahrwold als Knecht zu den Schafen gekommen sei. Der Sohn Gerd Hinrich Nahrwold sei damals noch jung gewesen und zur Schule gegangen. Er habe aber immer schon Schafe gekauft und seinem Vater gegeben, der sie dann mit der Amtsherde gehen ließ.

Als sich der Sohn dann verheiratet, und eine eigene Haushaltung in Lahde angefangen habe, habe er seine Schafe aus der Amtsherde herausgenommen und zusammen mit Bartermann, der damals 2. (Ehe-)Mann auf Nr. 3 war, eine eigene Schäferei angefangen. Diese beiden waren also von den Meyer die ersten, die um 1688 mit der Schafzucht begonnen hätten.

Bei dem Mönchshof sei schon vorher eine Herde gewesen, die schon 1680/81 ebenfalls auf dem Loh geweidet hätte. Sie hätten aber auch auf allen anderen Weideflächen der Gemarkung Lahde und auch auf der Geist gehütet, genauso wie die Amtsherde, ohne dass jemand Einspruch erhoben hätte.“

Im Ergebnis führte der Prozessausgang des ersten Hudestreites zu keiner Änderung. Die Meyerhöfe bestanden auf ihr althergebrachtes Recht und die Kläger konnten sich nicht durchsetzen. So blieb alles beim Alten.

Um 1690 entstanden auch die Schafställe für die Überwinterung der Tiere. Der Schafstall von Nr. 2 lag außerhalb des eigentlichen Hofraumes im später sogenannten Schafstallkamp. Er wurde 1691 erbaut und lag am Beginn der Bahnhofstraße neben der heutigen Bäckerei Reimers. Dieser Schafstall war über 250 Jahre ein fester Bestandteil der Lahder Bebauung, bis er im Januar 1946 der Brandstiftung während der Polenzeit zum Opfer fiel. Vom 17. März 1893 bis zum 15. Mai 1895 diente der einstige Schafstall als Notkirche, während des Neubaus der Lahder Kirche. Die Schafställe der beiden anderen Meyerhöfe lagen jeweils an der Straßenseite des Hofes. Angesichts der Herdengröße hatten die Ställe in der Regel eine Größe von ca. 18 mal 33 m.

In der Zeit von 1782 bis 1784 mussten sich die Meyerhöfe, sowie der Heckerhof in einem weiteren Hudeprozess mit dem Amt Petershagen auseinandersetzen. Diese Prozessakten umfassen insgesamt 320 Seiten, wie Großmann berichtet. Das Ergebnis des Prozesses spielt wieder keine große Rolle, es blieb ebenfalls alles beim Alten. Allerdings sind die Entstehungsgeschichte, sein Ablauf und die herangezogenen Beweismittel besonders aussagekräftig zur Geschichte unserer Heimat. Der Streit befasste sich ebenfalls mit den Huderechten in der Petershäger Geist (Geest)

Laut Dr. Großmann reichte die Geist im Süden bis an die Äcker der Meyerhöfe (Mönkefeld), im Osten bis an die „Loh“, im Norden bis an den „Lahder Bruch“ sowie im Westen bis an die „Schlagbaumbreite“. Dieses Gebiet, dass aus Ackerland bestand, wechselte im Laufe der Zeit jedoch seinen Besitzer.  Die Petershäger Besitzer verkauften es nach und nach an die Bauern der umliegenden Dörfer. Hier hatten die Lahder Meyer, der Heckerhof, die Stadt Petershagen sowie zweier Burgmannshöfe das unumstrittene Recht der Schafhude.

„Am 10.11.1782 wurden von der Herde der Meyer einige Schafe gepfändet und den Herden vom Amtmann Vethake zugeführt, der damals die Rechte des Amtes Petershagen gepachtet hatte. Den Lahder Meyerhöfen und dem Heckerhof wurde gegen 5 Taler Strafe verboten, sich noch mal auf der Geist sehen zu lassen. Daraufhin erhoben am 26.11.1782 die Meyer Christian Meyer (Meyer 1), Borchard Nahrwold (Meyer 2), Friedrich Wilhelm Lange (Meyer 3) und der Freisasse Jürgen Hinrich Engelking (Heckerhof) Anklage gegen das Amt Petershagen. Die Kläger machten geltend, dass sie auf der Geist die gleichen Rechte haben, wie das Amt Petershagen und dass sie die Schafhude, seit mehr als 50 Jahren öffentlich und unbestritten

öffentlich und unbestritten ausübten. Alte Dokumente über das Huderecht hatten sie zwar nicht, aber aus den Hude- und Protokollbüchern aus den Jahren 1753 und 1758 ging hervor, dass damals das Amt wie auch die Meyer die gleichen Rechte auf der Gest hatten. (…)“

Im Rahmen der Verhandlungen berichtet Engelking am 13.02.1783, wie nach seiner Sicht die Meyerhöfe und sein Hof zu diesem Recht gekommen waren. Großmann fasst die Aussagen wie folgt zusammen: „Zwar stimmt seine Darstellung nicht mit den Ergebnissen der heutigen Forschung überein, gewährt uns aber einen Einblick in die heimatkundlichen Kenntnisse der damaligen Zeit. (…)

In alten Zeiten sei ein Mönchskloster (=> Nonnenkloster) in Lahde gewesen, wozu auch sein Hof gehört habe, der daher Mönchshof hieß. Vor länger als 200 Jahren bei Gelegenheit eines entstandenen Krieges (=> Streitigkeiten, kein Krieg) wären die Mönche (=> Nonnen) nach Lemgo übergesiedelt. Das Kloster in Lemgo hätte dann für 200 Bremer Silberlinge (=> 1.700 Mark Bremer Silbers) sämtliche Lahder Besitzungen an das Kloster Lokkum verkauft, das diese durch einen Hofmeister verwalten ließ. Aus dem Klostergut, das nur aus seinem Hof und Ackerland bestanden hätte, seien noch 4 Meyerhöfe angelegt. Das sei dann das ursprüngliche Lahde gewesen.

Sein alter Hof hätte seine ursprüngliche Freiheit behalten und wäre mit dieser Freiheit vor etwa 140 Jahren verkauft worden, um Schulden des Klosters abzudecken. Daher sei sein Hof noch heute zehnt- und steuerfrei. Von den 4 Meyerhöfen sei der eine (Nr. 4) schon vor langen Jahren zersplittert worden. Die drei anderen beständen noch heute, wären aber eigenbehörig an das Kloster Lokkum. Da sie aber früher zu seinem Hof gehört hätten, besäßen sie alle das gleiche Huderecht wie sein Hof.

Er selbst besitze den Mönchshof seit 1749 und habe ihn mit seiner verstorbenen Frau erheiratet. Damals sei der Hof in sehr schlechter Verfassung gewesen. Die meisten Ländereien waren versetzt und die Mehrzahl der Gebäude eingefallen. Sein Vorgänger habe Philipp Hecker geheißen. Unter ihm war der Hof so sehr heruntergekommen, dass eine richtige Wirtschaft kaum noch aufrechterhalten werden konnte. (…)

Am 19.02.1783 stellte Engelking den Antrag, die Verhandlungen noch 3 Wochen zu verschieben. Er wolle noch Dokumente aus dem Kloster Lokkum herbeischaffen. Das Kloster müsse aber erst die Genehmigung des Abtes dazu einholen, der in Hannover sei. Ende März legte er dann eine Urkunde vor. Es was die sogenannte Bemeierungsurkunde, in der seinerzeit die Rechte und Pflichten der Meyer festgelegt wurden. Aus dieser Urkunde geht hervor, dass Nordlothe früher zu Lokkum gehört habe, somit habe es auch zu dem alten Klostergut gehört und deshalb stehe den daraus entstandenen Meyerhöfen und dem Heckerhof auch die Weide und Hude dort zu. Dieses Nordlothe sei auch ein Teil der Geist gewesen. (…)

Die Gegenseite wollte natürlich genau das Gegenteil beweisen. Die Bemeierungsurkunde sei für die Hude in der Geist überhaupt nicht beweiskräftig, denn es sei darin nur von Nordlothe die Rede. (…) Außerdem sei von irgendeiner alten Gerechtigkeit überhaupt keine Rede darin, jedenfalls nicht zugunsten der Meyerhöfe

Man muss zugeben, dass diese Ansicht berechtigt ist. Umso weniger stichhaltig sind dagegen die anderen Einwände, welche das Amt vorbringen ließ. Danach hätten nur die Lahder Bauern das Huderecht auf der Geist, welche dort Grundbesitz hätten, und das träfe für die Meyerhöfe nicht zu. (…) Bei der Beweisaufnahme stellte sich jedoch heraus, dass mindestens zwei der Meyer Land auf der Geist besitzen. (…)

Bei der Befragung der Zeugen stellte sich heraus, dass niemand etwas davon wusste, dass auf der Geist einmal ein Nordlothe gelegen hätte. Nach Angaben der Meyer sei der Namen inzwischen durch den Flurnamen „oben den Höfen“ ersetzt worden. (…)

Besonders wichtige Nachrichten erfahren wir dabei, wie das Amt in den Besitz der Dingbreite gekommen ist. Sie lag an der äußersten Kante der Petershäger Geist im Nordosten und grenzte an das Gebiet der Jösser Geist. Danach lag sie zwischen der Landstraße (B 482) und der Bahn, südlich des Weges von der Kreisstraße nach Dreihausen. Die Lahder Meyer berichten darüber Folgendes: Auf der Mitte der Dingbreede stand ein Galgen, der um 1743 gänzlich niedergefallen war. Diesen vorher unbebauten Gerichtsplatz habe sich das Amt Petershagen angeeignet und solchen immer wieder beackern lassen, so dass er nun (1783) ganz umgepflügt und die Rudera (Ruinen) noch kaum zu erkennen sei. Damit ist endlich die lange gesuchte Lage des alten Petershäger Gerichtsplatzes festgestellt, auf dem so mancher Verbrecher und so manche unschuldige Hexe ihr Leben lassen mussten. Eine der letzten Hinrichtungen war wohl die des Amtsvogtes Kretzmar und des Bürgers Gieseking von Petershagen. Diese hatten am 31.12.1720 die Frau Kretzmars erdrosselt und in die Weser geworfen und wurden am 10.01.1721 hingerichtet. Kretzmar wurde zweimal mit glühenden Zangen gezwickt und dann gerädert, Gieseking wurde enthauptet. Der Name Dingbreede weist aber auch darauf hin, dass hier früher nicht nur die Gerichtsstätte war, sondern in früheren Jahren auch ein Thing-Platz war. Hier haben die „Freien“ seinerzeit ihre Versammlungen abgehalten, in denen über Angelegenheiten des Dorfes oder auch des Gaues beraten wurde. (Vermutlich reicht die Geschichte dieses „Thing-Platzes“ bis in die germanische Zeit zurück.) So können wir den Lahder Meyern mit Recht dankbar sein für diesen wichtigen Beitrag zur Heimatgeschichte.“

Aber kommen wir zum Hudeprozess zurück: Am 08.10.1783 begannen die Vernehmungen der vorgeschlagenen Zeugen, von denen die Kläger 5 und das Amt 3 benannt hatte.

Die ersten 5 Zeugen sagten übereinstimmend aus, dass die Meyer stets seit Jahrzehnten unangefochten in der Geist gehütet hätten. Die Aussagen der Petershäger Zeugen waren in Teilen unglaubwürdig, da ihnen verwandtschaftliche Beziehungen und erhoffte Vorteilnahme unterstellt werden konnte. (…)

Bei der Vernehmung des Zeugen Hartmann gab es noch einen kleinen Zwischenfall. Als er nämlich die 11 allgemeinen Fragen zur Person beantwortet hatte, bemerkte die Deputation, „dass derselbe sich im Getränke übernommen und nicht im Stande war, eine ordentliche und vollständige Erzählung zu liefern, dahero man Bedenken trug, mit seiner Anhörung weiter zu verfahren. Es wurde also beschieden, auf nächstkünftigen Sonnabend, als den 11 `ten wieder zu erscheinen und sich nüchtern einzufinden. (…)

Das Ergebnis der Zeugenvernehmung war also auch zugunsten der Meyer ausgefallen.“

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Schäfereirecht der Meyer doch nicht so alt war, wie sie es bisher behauptet hatten. Die Behauptung, sie hätten sich mit der Herrenschäferei eingeschlichen, lässt sich nicht ganz von der Hand weisen. Da sie dieses Recht aber schon mehr als 100 Jahre unangefochten ausgeübt hatten, war es längst zu einem „Gewohnheitsrecht“ übergegangen. Gegen Ende des Prozesses einigte man sich schließlich auf einen Vergleich.

Damit endete ein 16 Monate andauernder Prozess, in dem eigentlich ebenfalls alles beim Alten blieb. Die Großgrundbesitzer durften weiter ihre Schafherden halten und hierzu die großflächigen, unkultivierten Heideflächen der Geest nutzen. Hinzu kam im Herbst noch das Huderecht auf Grundstücken, die in Privatbesitz waren. Ein Privileg, das heute nicht mehr vorstellbar erscheint.

Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts änderten sich dann die Voraussetzungen dann grundlegend. Die Bevölkerung nahm zu und es wurden zusätzliche Ackerflächen benötigt. Es begann die Zeit der sogenannten „Teilungsrezesse“ (Teilungsverträge). Die noch vorhandenen unkultivierten Gemeinschaftsflächen (überwiegend Heideland und Wald) wurden an die ortsansässigen Bauern verkauft, damit sie landwirtschaftlich genutzt werden konnten.

Aus den Gemeinschaftsflächen wurde nun Privatbesitz. Somit entfiel die Grundlage für eine großflächigen Schafzucht, was dann auch in unserer Heimat zum Ende der großflächigen Schäferei führte.

Aber das einstige Privileg ließen sich die Großgrundbesitzer noch bezahlen. Die neuen Eigentümer mussten ihr erworbenes Land noch vom Huderecht auslösen. Man einigte sich auf eine Ablösesumme von 15 Sgr. Pro Morgen. Das brachte den Meyerhöfen nochmal eine Entschädigung in Höhe von 49 Tlr. und 26 Sgr. ein. (Vergleich zur heutigen Währung: 1 Taler = ca. 20 €)

 


Was bleibt, sich die idyllischen Erinnerungen, wie der Schäfer friedlich mit seinen Schafen durch die Natur ziehen. Ein Bild, das die Menschen über Jahrhunderte hinweg begleitet hat. Aber mit ein wenig Glück kann man noch heute hin und wieder eine kleine Schafherde entdecken, die im Winter über die abgeernteten Felder ziehen und sich friedlich blökend an der Zwischenfrucht erfreuen.

Jürgen Nahrwold
(Januar 2024)






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