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Der Beruf des Heringsfänger

Lahde einst und jetzt
von Wilhelm Gerdes
(Ausgabe 5, April 2003)

Vor ca. 100 Jahren prägte ein Beruf das Dorfleben. Es war der Beruf des Heringsfängers. Heute gibt es bei uns keine Heringsfänger mehr, die ihren Beruf noch ausüben. Einige wenige Männer wohnen aber noch unter uns, die diesen Beruf erlebt haben: Willi Rodenbeck, Ernst Römke und August Therey. Wie kam es, dass so viele Männer diesen gefährlichen Beruf ausübten? Die große Beteiligung der Lahder Bevölkerung an der Heringsfischerei hängt zusammen mit der früheren Hollandgängerei zum Grasmähen.

In Holland kamen sie mit der Schifffahrt und der Fischerei in Berührung.

Die Arbeitsmöglichkeiten im Mindener Raum waren gering. Man suchte nach Verdienstmöglichkeiten, die auf den Schiffen ausgezeichnet waren. So fuhr damals, wer irgend konnte, auf See. Um die Verdienstmöglichkeiten deutlich zu machen ein Beispiel: Ein Audste (Leichtmatrose) hatte nach einer Fangreise so viel Geld, dass er sich anschließend einen Bauplatz in Lahde kaufen konnte.

Als 1872 die Emder Heringsfischerei AG wiedergegründet wurde, waren schon viele gestandene Seeleute vorhanden. Alle Heringsfänger waren auf dem Lande groß geworden und dachten auch so. Das Streben nach einem Haus, nach Eigentum und Land lag allen im Blut. Jeder, ob Kapitän, Schiffsjunge oder Matrose, fuhr nur zur Gründung und Festigung seiner Existenz, die an Land, in der Heimat lag, zur See. Die Frau oder Mutter versorgte zu Haus die Kuh oder die Ziege im Stall, ebenso bewirtschaftete sie das Land, das heißt, sie half in der Regel einem benachbarten Bauern bei den Feldarbeiten, der ihr als Entgelt das eigene Land beackerte. So war zu Hause für den Lebensunterhalt gesorgt. Im Dezember kam der Heringsfänger zurück, nahm den Winter über Gelegenheitsarbeiten an und fuhr im Mai wieder zur See. Den Beruf des Heringsfängers zu erlernen war schwer. Als Junge fing man mit 15 Jahren an. Dann wurde man Leichtmatrose und schließlich Matrose. Nach 60 Monaten Fahrzeit als Matrose konnte man die Navigationsschule besuchen und das Steuermannspatent erwerben. Solch eine Navigationsschule befand sich in den zwanziger und dreißiger Jahren auch in Lahde.

Wo konnten die Männer anheuern?

  • Emder Heringsfischerei AG 1872 – 1969
  • Heringsfischereigenossenschaft Norden
  • Die Glückstädter Heringsfischerei AG 1893 – 1976
  • Fischerei-Aktiengesellschaft Neptun in Emden 1895- 1914
  • Bremen-Vegesacker Fischerei-Gesellschaft 1895 – 1969
  • Altonaer Heringsfischereigesellschaft Elbe 1896 – 1899
  • Elsflether Heringsfischerei 1896 – 1931
  • Geestermünder Herings- und Hochseefischerei 1898 – 1919
  • Heringsfischerei Dollart Emden 1899 – 1950
  • Großer Kurfürst Heringsfischerei Emden 1904 – 1969
  • Braker Heringsfischerei Brake 1904 – 1927
  • Fischerei AG Weser in Elsfleth 1905 – 1912
  • Leerer Heringsfischerei 1905 – 1969
  • Mildgand Deutsche Seeverkehrs- und Heringsfischerei Nordenham
  • Heringsfischerei AG Visurgis Nordenham
  • Hochseefischerei AG Bremerhaven
  • Norddeutsche Hochseefischerei AG Bremerhaven
  • Brema Heringsfischerei AG
  • Cuxhavener Heringsfischerei AG
  • Deutsche Heringsfischerei GmbH Wesermünde

Die bevorzugte Gesellschaft der Lahder war die in Bremen-Vegesack. Sie war in den zwanziger Jahren gut mit dem Zug zu erreichen. Später ließ Fa. Wahrenburg, Neuenknick, einen Bus fahren. Vor den genannten Zeiten wurden die Heringsfänger von den Schiffen, die die Weser befuhren, abgeholt.

Foto: Hermann Stüting

Vorstellen möchte ich Hermann Stüting aus Lahde, geb. 1887, gestorben 1961. Ein kurzer Überblick über sein Schaffen:

Geboren in Lahde Nr. 40, heute Fährstraße Nr. 9. Mit 14 Jahren geht er nach Glückstadt, das Heringsfängerhandwerk zu erlernen. Zuerst: 1913 SG 20 Delfin, 1913/14 SG 2 Stör, die von den Engländern zerstört wird, die Mannschaft wird interniert, 1929 SG 127 Fortuna, 1933 SG 1 Traute, die er von der Werft Mützelfeld erwirbt und damit bis zur Neugründung der Glückstädter Heringsfischerei AG als Glückstädter Heringsfischerei Hermann Stüting firmiert. Mit SG 1 Traute wird er 1934 übernommen, Aufsichtsratsmitglied der neuen Gesellschaft.

Auszug aus einem Zeitungsausschnitt der Glückstädter Fortuna zu seinem 50-jährigen Berufsjubiläum 1951:

„Einer der bewährtesten Kapitäne der deutschen Heringsfischerei ist der jetzige Außenbetriebsleiter der Glückstädter Heringsfischerei AG Hermann Stüting. Sein Name wird mit dem Aufblühen der Glückstädter Heringsfängerflotte stets aufs engste verbunden bleiben. Mit 14 Jahren kam Hermann Stüting nach Glückstadt, und morgen begeht der gebürtige Westfale aus Lahde, Kreis Minden, sein 50jähriges Berufsjubiläum. Die Daten seiner Berufslaufbahn sind ein Spiegel der deutschen und besonders der Glückstädter Loggerfischerei. 1901 trat der junge Stüting bei der Glückstädter AG ein, die 14 hölzerne Segellogger in Fahrt hatte. Ein erprobter Kapitän war Heinrich Deterding aus Lahde, Liebliches Tal. Zu ihm 

kam Stüting an Bord auf SG 12 Scholle und fuhr dort die ersten Jahre als Affhauer (Reepabhalter), Jüngste und Auste (Leichtatrose). 1904 war das erste Matrosenjahr, und im Winter kam die erste Saison als Fischdampfermatrose auf Orion, im Sommer 1905 Loggerfischerei auf Wels, 1906 auf Seehund und wintertags immer Fischdampferfahrt. 15.01.1908 Einberufung zur Kaiserlichen Marine, aus der er bereits am 01.10.1909 auf Antrag der Glückstädter Heringsfischerei als Dispositionsurlauber ausschied, um sogleich auf Logger Stör für den Rest der Saison an Bord zu gehen. Im Winter noch einmal Fischdampferfahrt und dann 1910 Bestmann auf Dampflogger Glückstadt, dem zweiten Schiff dieser Klasse bei der Glückstädter Reederei. Examen an der Navigationsschule Altona 1910/11 und Steuermann bei Kapitän Deterding. Anschließend als Steuermann auf Forelle und 1913 erstes Kapitänjahr auf Delfin. 1914 bei Kriegsausbruch mit Stör in Grund geschossen und für 4 Jahre und 9 Monate als Gefangener auf der Isle of Man. Am 13. März 1919 war er wieder in der Heimat und ab Juni für ein Jahr in Norwegen als Vertreter der Glückstädter Fischerei zwecks Überwachung von drei Glückstädter Loggern, die in dem derzeit neutralen Ausland von ihren Besatzungen verlassen worden waren. Nach Erledigung dieses Auftrages von 1920 bis 1923 Kapitän auf SG Wels, 1924/25 Seestern, 1926/27 Dampflogger Elbe, 1928 Dampflogger Fortuna. 1929/30 Außenbetriebsleiter bei der alten Gesellschaft, bis die Glückstädter Flotte 1931 nach Emden verbracht werden musste. Weiterfahrt von dort mit der Fortuna. Die entscheidende Wende in seinem Leben kam. 1932/33 wurde er mit Unterstützung von Mützelfeld sen. , auf dessen Werft in Cuxhaven ein Dampfloggerneubau in Spanten für Glückstadt stand, selbstständiger Kapitän auf Traute.“

Es wurde jenes Schiff, mit dem Kapitän Stüting die Voraussetzung schuf, dass Glückstadt später überhaupt wieder Loggerneubauten und damit seine Heringsfischerei erhielt. Die Erfolge und das Können von Hermann Stüting bildeten die Unterlagen zu den Verhandlungen bei den entscheidenden Dienststellen in Berlin.

Im Juni 1920 hatte das Seeamt Hamburg über den Untergang des Loggers Stör unter Kapitän Stüting verhandelt. Am 26. Juni berichtet darüber die Zeitung:

„Der Logger war in der Nähe der englischen Küste beim Fischen, als am 5. August 1914 abends 7 Uhr dem Kapitän von englischen Streitkräften die Mitteilung gemacht wurde, er solle sofort die Netze einholen und nach Deutschland segeln. Falls der Logger am anderen Morgen noch in der Nähe angetroffen werden sollte, würde das Schiff versenkt werden. Da kein Wind war, um zu entkommen, holte am anderen Morgen das Kriegsschiff Antrim die Besatzung an Bord und schoss den Logger in den Grund. Das Seeamt stellte fest, dass sich die Engländer völkerrechtswidrig verhalten hätten und dass den Kapitän keinerlei Schuld träfe.“

Hermann Stüting privat:

Schnell kommt er zu Vermögen. Bereits nach dem ersten Weltkrieg besitzt er mehrere zigtausend Reichsmark. Nur so lässt es sich erklären, dass er in den dreißiger Jahren das Schiff Traute kaufen kann. Er wird zum Vorstandsmitglied, fährt nicht mehr zum Heringsfang. Er heiratet spät, eine Kneipenwirtin aus Hamburg. Die Ehe bleibt kinderlos. Sie adoptieren ein Mädchen und nenne es Traute wie das Schiff. Der Reichtum wächst. Schließlich gehört ihm ein ganzer Straßenzug hinter dem Deich, gleich neben der Anlegestelle der Fähre nach Wischhafen. Kommt er nach Lahde, mietet er das zweite Auto aus Lahde für drei Wochen. Es gehört der Kohlenhandlung Heine. Das erste Auto gehört der Ziegelei Albert. Sein Schiff Traute wird von Kapitän Rehling aus Heimsen gefahren. Auch er nennt seine Tochter Traute. Heute lebt sie mit uns unter dem Namen Hermening. 1961 stirbt Hermann Stüting. Sein großes Vermögen hält nicht lange vor. Es wird gesagt, dass seine Witwe es verschleudert hat.

Herausgeber: Ortsheimatpfleger Wilhelm Gerdes mit Unterstützung der Kulturgemeinschaft Lahde

 






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