Skip to content Skip to main navigation Skip to footer

Historische Verhörprotokolle

Lahde einst und jetzt
von Wilhelm Gerdes
(Ausgabe 33, April 2010)

Bei einem Studium der Akten fielen mir zwei besondere Fälle auf, für die man heute sicherlich kein Verständnis mehr hat. Unter dem Aktenzeichen Tanzlustbarkeit waren folgende Fälle archiviert, die ich hier im Wortlaut wiedergebe:

Pr. 23/5 42 N 13400
hier
zu Pol
ad term 20 July
Morgens 9 Uhr
Wmdh.23/6

Euer Wohlgeboren zeige ich hierdurch ergebenst an, dass am 3t des Monats, an welchem der Heuerling Lohmeier zu Lahde in der Wohnung des Col. Minnemann Uhr 24 daselbst Tanzbelustigung gegeben hat, nach Ablauf der gesetzlichen Polizeistunde hier in Lahde nächtliche Störungen vorgekommen sind. Es hat nämlich der Musikus Twelsing Senior zu Petershagen um 11 Uhr und um 2 Uhr nachts während eines Zuges über die Straße Musik gemacht, und ist dasselbe von einem Haufen leichtsinniger und teilweise auch wohl betrunkener Menschen, die das bekannte Räuberlied „Ein freies Leben führen wir“ gesungen haben, umgeben gewesen. Ich selber sowie auch der Kantor Althoff haben bei das Musik und Gesang gehört und sind dadurch in nächtlicher Ruhe gestört worden. Namentlich hat dieser Unfug auch meine Frau, welche an den Folgen einer zu frühen Entbindung tödlich krank darnieder lag, sehr nachteilig ausgewirkt. Unter dem die Musik umgebenen Haufen soll der Col. Schwier Nr. 30 hier der Hauptanführer gewesen sein. Die wilde Schar ist am Ende des Zuges in die Wohnung Nr. 18 hier eingekehrt und werden dies die Heuerlinge bei Nr. 18 der Schuhmacher Christoph Bade und die Ehefrau des Musikers Krohne bezeugen können, zu gleich auch anzugeben möchte, dass in dieser lästigen Gesellschaft der Musikus Twelsing, der Col. Schwier und die beiden Schäfer von Nr. 1 und Nr. hier, deren Namen ich nicht angeben kann, gewesen sind.

In der selbigen Nacht sind
a) der Geselle des Schuhmachers Bade bei Nr. 1
b )der frühere Knecht des Colon Minnemann hier Wilhelm Huxholl

wo derselbe sich auch jetzt noch aufhalten soll, heimlich in die Wohnung des Colon Pohlmann Nr. 11 gewesen und von letzterem um 2 Uhr verjagt worden, bei welcher Gelegenheit der vorhin genannte Johann seine Mütze, die derselbe vom 14. d. M sich wieder zurückerbeten, im Stich gelassen hat. Die Richtigkeit dieser Angaben können bei den Dienstmädchen des Col. Pohlmann , wovon die eine Louise Thiele aus Bierde heißt, den Namen der anderen ich aber nicht angeben kann, jedenfalls dieselbe wohl aus dem dortigen Gesindeverzeichnis zu ersehen sein dürfte, bestätigen.

Ich trage hierdurch ganz ergebenst darauf an, sämtliche Denuncierten event. zu bestrafen und in Petershagen bestrafen zu lassen, zugleich auch bitte ich, gewogenstlich das Resultat der Untersuchung mir mitteilen zu wollen um nötigenfalls die Sache noch anderweitig zu verfolgen oder Beweismittel beitragen zu können. Ob die Erlaubnis zu einer Tanzlustbarkeit in Lahde, die zu geben sein würde, zumal bei dieser Gelegenheit solche Excesse vorgekommen sind, und auch noch der Branntwein im Übermaße genossen ist, worüber in Bezug auf den Col. Schwier der Polizeimajor in Minden zu vernehmen sein dürfte, gebe ich lediglich Eu. Wohlgeboren Ermessen, so wie auch darüber die Beurteilung nehmen, ob es in Ordnung sei, dass die in Rede stehende Tanzlustbarkeit abgehalten worden ist, ohne dass so der fällige Erlaubnisschein vom hiesigen Vorsteher Wiebke unterschrieben worden wäre. Am Tage nach der Tänzerei hat der erwähnte Schein, von dem ich die Abschrift genommen habe, dem Kantor Althoff und mir vorgelegen. Und haben wir beide uns davon überzeugt, ohne dass derselbe wodurch er seinem Inhalte nach allein erst Gültigkeit erhielt, vom Vorsteher Wiebke nicht unterzeichnet war

 Lahde, d. 19T Mai 1842
Pastor Priehs

(md.)23/5/42 Nr. 1301

Zur Vervollständigung meiner Eingabe vom gestrigen Tage, betreffend die am 3t.d. M in der Wohnung des Co. Minnemann Nr.24 hier abgehaltene Tanzlustbarkeit, beehre ich mich hierdurch nachträglich ergebenst noch zu zeigen: dass an jener Belustigung folgender nächtlicher Unfug außer den bereits angeführten Personen noch teilgenommen haben:

a. Col. Koch Nr. 28
b. der Schneider Wilhelm Saxowsky Nr. 54
c. Carl Kahde bei Nr. 27

sämtlich in Lahde, und schlage ich außer den bereits schon angegebenen Zeugen Christoph Bade und Ehefrau Krohne noch besonders der Schäfer Thiele bei Nr. 3 und die Mutter Neubauer Daake beide von hier, vor unter Wiederholung meines Antrages ergebenst auf Untersuchung und event. Bestrafung

 Lahde, 20t. Mai 1842
gez. Prieß , Ps

Nach Aktenlage ist nicht erkennbar, wie die Anzeige des Pastors Prieß weiter behandelt wurde. Die Akte Tanzlustbarkeit schließt an dieser Stelle.

100 Jahre später ereignet sich ein anderer Fall, der fast an gleichem Ort passiert und bei dem auch Alkohol im Spiel ist. Tatort ist die Tonne, bekannte Gaststätte im Unterdorf im Jahre 1938. Von der Amtsverwaltung werden verhört:

a. der Friseur Fritz Feldmann
b. der Polizeihauptwachtmeister Scheffler
c. der Postschaffner Heinrich Schwarze Lahde Nr. 115
d.der Landwirt Heinrich Schmidt Lahde Nr. 20

Lahde den 11. August 1938

Es erscheint der Friseur Fritz Feldmann aus Lahde Nr. 180 und erklärt:
Ich nahm gestern Abend teil an der Polterabendfeier des Sohnes von Gastwirt Prengo in Lahde. Es wurde getrunken und getanzt. Ich befand mich in etwas angeheiterten Zustande. Betrunken war ich unter keinen Umständen.

Um etwa 1.30 Uhr spielte sich folgender Vorgang ab:

Ich stand an dem südlichen Rande der Tanzfläche und zwar 3 bis 4 m vom Ausschank entfernt und unterhielt mich mit dem Postbeamten Heinrich Schwarze aus Lahde Nr. 115. In dem Augenblick kam der Polizeihauptwachtmeister Scheffler aus Lahde mit seiner Frau an uns vorbei. Scheffler war in Zivil. Schwarze hatte mit seiner Frau getanzt und hatte diese zurückgebracht. Indem er ankam sagte er, er habe mit meiner Frau getanzt und wolle nun einen ausgeben. Ich erklärte, nicht mehr trinken zu wollen. In dem gleichen Augenblick kam Scheffler vorbei und ich sagte scherzweise: „Aber der muss einen ausgeben. „Ich kenne Scheffler aus früherem Verkehr und glaubte diese Äußerung tun zu können in der Erwartung, er werde sie als Spaß aufnehmen. Scheffler erklärte mir dann, er sei mein Kalfaktor nicht. Schwarze sagte: “ Was meint er damit?“ Ich sagte darauf zu Schwarze: (Diesen Ausdruck kann ich nicht mehr genau wieder geben.) Darauf ging Scheffler mit seiner Frau fort. Ich unterhielt mich mit Schwarze weiter. Plötzlich kam Scheffler zu uns zurück, riss mich herum und schlug sofort auf mich ein. Mir blieb keine Besinnung, weil ich sofort zu Boden fiel. Sobald ich mich wieder aufrichten wollte, schlug Sch. von neuem auf mich ein, sodass ich gar nicht mehr aufrecht zum Stehen kam. Als ich recht zur Besinnung kam, stand ich allein auf dem Hof und sah, dass Scheffler fort gezogen wurde. Damit war der Vorgang an sich erledigt. Später sagte mir der Sohn des Eierhändlers Schmidt, Ernst Schmidt, Scheffler habe sich dahingehend geäußert, als wenn ich Frau Scheffler irgend etwas angetan habe. Es war die Rede vom Daumen in den Hintern. Einen Zusammenhang kenne ich nicht. Jedenfalls schließe ich daraus, dass Scheffler annahm, ich habe seine Frau tätlich beleidigt. Dazu erkläre ich: An dem Abend habe ich die Frau Scheffler zum ersten mal gesehen als sich dieser Vorgang abspielte. Ich kann also mit der Frau nichts zu tun gehabt haben. Einen anderen Grund für das Verhalten Schefflers kann ich mir nicht erklären.

Ich stelle Strafantrag gegen Scheffler.

Unterschrift

 

Nach diesem Antrag beim Amtsbürgermeister lädt der Zeugen vor.

Lahde, den 12. August 1938

Auf Veranlassung erscheint der Landwirt Ernst Schmidt aus Lahde Nr. 20 und erklärt auf Befragen:

Von den gesamten Vorgängen bis zur Beendigung der Schlägerei habe ich nichts gesehen. Ich kam vom Abort und ging in Richtung des Saales. Kurz vor dem Saal sah ich, dass Feldmann am Boden lag und im Begriff war, aufzustehen. Der Amtsrentmeister Brinkmann wollte Ruhe stiften und redete auf Scheffler ein. In diesen Gesprächen sagte Scheffler: “ Das lasse ich mir nicht bieten, dass Feldmann meiner Frau den Finger in den Hintern steckt.“ Diese Wahrnehmung habe ich später Feldmann mitgeteilt.

Weiter kann ich zur Sache nichts angeben.

Unterschrift

 

Lahde, den 12. August 1938

Auf Veranlassung erscheint der Postschaffner Heinrich Schwarze aus Lahde Nr. 115 und erklärt auf Befragen:

Ich nahm ebenfalls an dem Polterabend des Sohnes von dem Gastwirt Prengo teil. Gegen 1.30 Uhr hatte ich die Absicht nach Hause zu gehen. Als ich im Saale stand und schon meine S.A. Mütze aufgesetzt hatte, spielte die Musik einen Walzer und ich legte meine Mütze wieder ab, um mit Frau Feldmann zu tanzen. Nach dem Tanz ging ich mit Frau Feldmann zu ihrem Manne und unterhielt mich noch mit Feldmann. In dem Augenblick kam Scheffler mit Frau an uns vorbei. Feldmann sagte zu Scheffler: “ Sie können heute Abend auch mal einen ausgeben.“ Darauf sagte Scheffler: „Ich bin Feldmann sein Kalfaktor nicht. „Ich sagte dann zu Feldmann: „Was meint er damit?“ Ohne eine Antwort abzuwarten haben Feldmann und ich uns abgedreht. Ich bin zum Tisch gegangen, um meine Mütze zu holen, wohin Feldmann ging, weiß ich nicht. Die Äußerungen, die gefallen sind, mögen wörtlich vielleicht nicht stimmen, inhaltlich sind sie aber richtig.  Als ich meine Mütze aufgesetzt hatte, um zu gehen, sah ich, dass Feldmann bereits am Seitenausgang des Saales sich befand. Ein genaues Bild kann ich nicht wiedergeben, weil in meinem Blickfeld mehrere Personen standen. Ich bin dem Seitenausgange zugegangen nach draußen. Draußen sah ich Feldmann stehen und den Amtsrentmeister Brinkmann, der sich bemühte Ruhe zu schaffen. Ich schloss daraus, dass irgend etwas passiert war, was los war, wusste ich in dem Augenblick noch nicht. Auf dem Platze befanden sich mehrere Personen.

Weiter kann ich zur Sache nichts angeben.

                                                                          Unterschrift

 

Am 22. August 1938 gibt es ein klärendes Gespräch beim Amtsbürgermeister.

Anwesend:
Frisör Fritz Feldmann
Pol. Hautw. Scheffler.

Beide Parteien sind sich darüber einig, dass eine gegenseitige Beleidigung nicht hat stattfinden sollen. Feldmann erklärt, dass er Scheffler nichts hat antun wollen und zwangsläufig hineingezogen worden ist. Er hat nur einen Scherz treiben wollen in der Meinung, dass er sich auf Grund der Bekanntschaft mit Scheffler das hat erlauben können.

Scheffler erklärt, dass er sich damit abfinde, jedoch mit Rücksicht darauf, dass Feldmann sich hinterher noch Äußerungen erlaubt hat die er als unwürdig auffasst, die Zahlung einer Geldbuße von 10,00 RM an die NSV verlangt.

Feldmann erklärt sich mit der Zahlung zur Buße bereit.

 

                                                                          Unterschriften

Herausgeber: Ortsheimatpfleger Wilhelm Gerdes mit Unterstützung der Kulturgemeinschaft Lahde






Zurück zum Anfang